Die Entstehung des Projekts verdankt sich der Suche von Holocaust-Überlebenden und deren Nachkommen nach dem ehemaligen, aus Darmstadt stammenden Wehrmachtsoffizier Karl Plagge An dessen Nachnamen erinnerten sich einige von ihnen oder hatten Ende der 1990er Jahre davon erfahren, von irgendwelchen weiteren Spuren wussten sie jedoch nichts.
Der US-amerikanische Arzt Michael Good, dessen Eltern die Vernichtung der litauischen Juden in den Jahren der deutschen Besatzung 1941 bis 1944 in Litauen überlebt hatten, begann 1999 die Suche nach dem Unbekannten mit einer in das Internet gestellten E-Mail-Frage: Wer kann bei der Aufklärung des Schicksals des früheren Wehrmachtsoffiziers Karl Plagge behilflich sein? Nach einem Jahr ohne Echo trafen schließlich erste Hinweise eine, wenige Jahre später war die „Plagge-Gruppe“ entstanden, die sich weiter auf die genauere Suche machte. Sie bestand aus Michael Good selbst und dessen Eltern, Pearl und William Good, sowie dem in New York lebenden Kernphysiker Bill Begell (sein ursprünglicher Name: Hermann Beigel) und dem in Paris lebenden Ingenieur Simon Malkès, beide ebenfalls von Karl Plagge Gerettete. Zu den Unterstützern in Deutschland gehörten Salomon Klazko und Jörg Fiebelkorn aus Hamburg, sowie Dr. Marianne Viefhaus aus Darmstadt. Als ehemaliger Bundeswehroffizier hatte Jörg Fiebelkorn Zugang zu den archivierten Wehrmachtsakten und danach zur Stadtverwaltung Darmstadt, Marianne Viefhaus, Archivarin der Technischen Hochschule Darmstadt fand die Studentenakte des Ingenieurs Karl Plagge aus den 1920er Jahren und die Entnazifizierungsakte Plagges aus den Jahren 1947/48.
Retter in Uniform
Diese entscheidenden Schritte ergaben als Eckdaten: der ehemalige Major Plagge war 1897 in Darmstadt geboren, hatte dort nach dem Ersten Weltkrieg studiert, später gehörte er der NSDAP an und war nach dem deutsche Überfall auf die Sowjetunion als Leiter eines Kfz-Reparaturbetriebs der Wehrmacht in Wilna eingesetzt worden. In diesem Betrieb arbeiteten neben deutschen Soldaten polnische und jüdische Zwangsarbeiter. Letztere wurden täglich unter SS-Kontrolle aus dem Wilnaer Ghetto zu ihrer Arbeitsstätte gebracht. Der Informationsaustausch in dem Netzwerk der Überlebenden, die in dieser Werkstatt gearbeitet hatten, brachte zu Tage, dass Karl Plagge jüdischen und polnischen Zwangsarbeiter*innen Schutz gewährt und schließlich mehr als 250 Jüdinnen und Juden das Leben gerettet hatte. Auf der Grundlage ihrer Erfahrungen beantragten diese Überlebenden mit Erfolg bei der israelische Gedenkstätte Yad Vashem, den 1957 verstorbenen Karl Plagge posthum als „Gerechter unter den Völkern“ auszuzeichnen.
Aus der 1999 begonnenen Suche nach dem jahrzehntelang unbekannt gebliebenen Retter war inzwischen das „Karl-Plagge-Projekt“ geworden. Es umfasst folgenden Schwerpunkte:
Aus der Mitarbeit der Geschichtswerkstatt im Plagge-Projekt entwickelten sich in den Jahren nach 2005 intensive Beziehungen zu Holocaust-Überlebenden und jüdischen Einrichtungen in Litauen, auf deren Basis zahlreiche Besuche, Studien- und Recherchereisen stattfanden. Daraus entstand ein eigenständiges Litauen-Projekt, das der Geschichte des Holocaust in Litauen während der deutschen Besatzung 1941 bis1944 gewidmet ist.